Landtagspräsidentin besucht Landkreis Holzminden

Die Wälder des Sollings und Hils, die Weser, die sich durch grüne Täler windet – das Weserbergland gehört zu den schönsten Landschaften Niedersachsens. Es gibt jedoch auch anderes zu entdecken: viel Geschichte. „Industriegeschichte auf dem Land – das vermutet man zunächst nicht“, stellte Landtagspräsidentin Dr. Gabriele Andretta bei ihrem Besuch im Landkreis Holzminden fest. Landtagsabgeordnete Sabine Tippelt hatte sie eingeladen, ihren Wahlkreis zu besuchen.

Zu sehen sind: (vorn von links) Sabine Tippelt, Dr. Gabriele Andretta, Tino Wenkel, dahinter Walter Waske, Gudrun Rassmann, Hans-Hermann Henze und Sebastian Rode.
Gerda Henke vom Freundeskreis Glas stellt die Geschichte des Konsumvereins in Boffzen vor. Zu sehen sind: (vorn von links) Sabine Tippelt, Dr. Gabriele Andretta, Tino Wenkel, dahinter Walter Waske, Gudrun Raßmann, Hans-Hermann Henze und Sebastian Rode. (© Dr. Stefanie Waske/Nds. Landtag)

Erste Station: Glasstelenweg des Freundeskreises Glas

Die Reise begann im Weserort Boffzen, in dem schon mehr als 150 Jahre Glas hergestellt wird. Seit November 2020 führt ein Rundweg mit elf Glasstelen entlang der Glashütten des Ortes, vorbei an Unternehmervillen bis hin zu den Arbeiterhäusern. Der Verein Freundeskreis Glas Boffzen hat ihn erstellt, Historiker Dr. Uwe Spiekermann und Stefanie Waske erarbeiteten die Inhalte und Texte. An jeder Stele lassen sich über einen QR-Code vertiefende Informationen und eine englische Übersetzung auf der Internetseite www.glas-in-boffzen.com abfragen.

Einen Teil des Weges stellte der Vorstand des Freundeskreises Glas Andretta und Tippelt vor, auch wenn Sturm und Regen die Wanderung erschwerten. So erfuhren sie, dass 1866 und 1872 zwei Glashütten in Boffzen entstanden, von denen heute noch eine am Markt ist. Einmachgläser, Medizinglas, Bierseidel und vieles mehr entstanden in Boffzen. Die Villen der Unternehmer gaben beim Rundweg eine Vorstellung vom wirtschaftlichem Erfolg und Wohlstand um 1900, der parallel entstandene Konsumverein und die Arbeiterhäuser einen Einblick in das Leben der Glasmacher-Familien.

Waske berichtete von den Herausforderungen, die Zeit des Nationalsozialismus auf den Stelen darzustellen. Dies habe den Verein die Unterstützung des örtlichen Glasherstellers gekostet. Stiftungsgelder und eine Privatspende hätten die weggefallenen Mittel ausgeglichen. „Die Aufarbeitung der NS-Zeit war für mich immer ein wichtiges Thema“, betonte Waske. Diese solle weitergehen – neben vielen weiteren Aspekten der Glasgeschichte.

Die Gemeinde Boffzen sei dabei ein wichtiger Partner. Diese verfüge über wichtige Dokumente im dortigen Archiv. Samtgemeindebürgermeister Tino Wenkel berichtete, ein neuer Mitarbeiter werde die kommenden Jahre die Bestände neu erfassen und teils digitalisieren. Auch Bürgermeisterin Gudrun Rassmann hatte sich dafür eingesetzt. Der Freundeskreis Glas, so Waske, wolle aus den Akten neue Glasgeschichten entwickeln und sie auf der Internetseite veröffentlichen. „Der Glasstelen-Weg bietet eine spannende Spurensuche zur Industriegeschichte,“ fasste Andretta ihre Eindrücke vom Besuch zusammen. Sie und Tippelt dankten den Ehrenamtlichen des Vereins für ihr Engagement, die Geschichte nachfolgenden Generationen mit modernen Medien zu vermitteln.

Am Startpunkt des Rundgangs auf dem Glasstelen-Weg in Boffzen.
Am Startpunkt des Rundgangs auf dem Glasstelen-Weg in Boffzen. (© Dr. Stefanie Waske/Nds. Landtag)
Sabine Tippelt und Dr. Gabriele Andretta betrachten die vom Wetter angegriffene Fassade des Schlosses.
Im Innenhof des Schlosses fanden schon zahlreiche Konzerte, Theateraufführungen und ähnliches statt. Hier betrachten Sabine Tippelt und Dr. Gabriele Andretta die vom Wetter angegriffene Fassade. (© Dr. Stefanie Waske/Nds. Landtag)

Zweite Station: Besuch des Kulturzentrums im Weserrenaissance-Schloss Bevern

Weiter ging die Reise von Dr. Gabriele Andretta und Sabine Tippelt nach Bevern bei Holzminden, das bekannt ist für sein Weserrenaissance-Schloss. „Ein Juwel“, stellte Andretta fest. Doch die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. „Dieses wichtige Werk der Weserrenaissance verdient wahrlich, erhalten und gesichert zu werden“, fügte sie hinzu und Tippelt betonte dies ebenso.

In den oberen Seitenflügeln des Fachwerkbaus sind heutzutage Ausstellungen zu sehen, die nun wieder wegen der niedrigen Zahl der Corona-Erkrankungen in der Region mit Voranmeldung für Besucherinnen und Besucher geöffnet sind (http://www.schloss-bevern.de/).

Die aktuelle Ausstellung „Der Traum vom neuen Leben – Niedersachsen und das Bauhaus“ war der Landtagspräsidentin bereits bestens bekannt. Sie war deren Initiatorin im Bauhaus-Jubiläumsjahr (https://www.landtag-niedersachsen.de/der-landtag/praesidentin/offenes-plenum/allgemein/september-oktober-2019/) gewesen. Im Herbst 2019 wurde die von Dr. Stefani Waske kuratierte Ausstellung im Landtag eröffnet. Seitdem wandert die Schau erfolgreich durch Niedersachsen und kam auf diese Weise auch nach Bevern.

Der Landrat des Landkreises Holzminden, Michael Schünemann, begrüßte die Gäste des  Landtages im Schloss. Außerdem waren vom Freundeskreis Schloss Bevern der Vorsitzende Klaus-Volker Kempa und das Vorstandsmitglied Elisabeth Kilian gekommen.

Ihnen stellte Waske einige Spuren des Bauhauses in der Region vor (siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=R2PKgAqTGKQ). So hatte 1925 Bauhausgründer Walter Gropius das Werk des Unternehmers August Müller aus Kirchbrak erweitert. Aus Holzminden stammte der jüdische Bauhäusler Werner Isaacsohn. Paul Hugo Klopfer zog 1922 nach Holzminden und übernahm die Leitung der Baugewerkschule; zuvor hatte er Abendkurse zur Architekturgeschichte am Bauhaus gegeben. 1934 entwarf der Bauhäusler Wilhelm Wagenfeld das Service 639, das die Porzellanmanufaktur Fürstenberg bis heute herstellt. Schlusspunkt der Führung war der Möbelhersteller Tecta in Lauenförde, der Bauhausklassiker herstellt. „Bemerkenswert, wie viele Spuren des Bauhauses in der Landkreis Holzminden führen“, betonte Andretta.

Dann übernahm Renate Nott und führte die Gäste durch die kürzlich erweiterte Dauerausstellung im Schloss Bevern zur Ärztin Paula Tobias. Die Präsentation gehört zum Projekt „frauenOrte“ des Landesfrauenrates Niedersachsen (https://www.frauenorte-niedersachsen.de/die-frauen/bildung-und-beruf/paula-tobias/), welches Frauen mit ihren besonderen Leistungen sichtbar macht und würdigt. So war Tobias die erste praktizierende Ärztin im Braunschweiger Land und die von ihr eingerichtete Mütterberatung unterstützte Frauen bei der Säuglingspflege. Nott stellte die Lebensgeschichte der couragierten Ärztin vor, die im Landkreis Holzminden wirkte – in Bevern und Delligsen. In Bevern führte sie mit ihrem Mann ab 1928 eine Gemeinschaftspraxis. Tobias, wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt, wanderte 1935 von dort in die USA aus.

 

Dr. Gabriele Andretta erklärt die Idee der Bauhaus-Ausstellung des Landtages. Neben ihr Sabine Tippelt, Michael Schünemann (l.), Klaus-Volker Kempa (3.v.r.), Elisabeth Kilian sowie Sebastian Rode.
Dr. Gabriele Andretta erklärt die Idee der Bauhaus-Ausstellung des Landtages. Neben ihr Sabine Tippelt, Michael Schünemann (l.), Klaus-Volker Kempa (3.v.r.), Elisabeth Kilian sowie Sebastian Rode. (© Dr. Stefanie Waske/Nds. Landtag)

Dritte Station: Frauenort Paula Tobias in Delligsen

Wie die Ärztin in Delligsen rastlos gegen die Spanische Grippe kämpfte und in den dortigen Industriebetrieben sich Anerkennung erarbeitete, vertiefte Nott anschließend in der Oberschule in Delligsen. Hier begrüßte Bürgermeister Stephan Willudda Dr. Andretta und Tippelt. Ebenso waren Mitglieder des Heimatvereins hinzugekommen. Die Verbindung von Tobias zur Industriegeschichte Delligsens sei noch nicht komplett erforscht, machte Nott deutlich. Diese Verbindung solle in der Zukunft vertieft und noch mehr Besucherinnen und Besuchern nahegebracht werden.

Die Landtagspräsidentin dankte der Landtagsabgeordneten Tippelt für die vielfältigen Eindrücke. „Dieser Tag im Weserbergland hat mir wieder einmal den Reichtum unseres kulturellen Erbes deutlich gemacht, wie sich Ehrenamtliche mit großen Engagement auf Spurensuche in ihrer Heimat begeben und die Geschichte lebendig halten. Dafür möchte ich mich im Namen des Niedersächsischen Landtages bei allen Ehrenamtlichen bedanken. Freuen wird uns auf baldige Konzerte im Schloss Bevern, Ausstellungen zur Glasgeschichte und Entdeckungstouren zu Paula Tobias.“

Renate Nott (3.v.r) stellte Dr. Gabriele Andretta (l.), Sabine Tippelt, Michael Grotjahn Museumsleiter des Heimatvereins Delligsen und Stephan Willudda die Lebensgeschichte der jüdischen Ärztin Paula Tobias vor.
Renate Nott (3.v.r) stellte Dr. Gabriele Andretta (l.), Sabine Tippelt, Michael Grotjahn Museumsleiter des Heimatvereins Delligsen und Stephan Willudda die Lebensgeschichte der jüdischen Ärztin Paula Tobias vor. (© Dr. Stefanie Waske/Nds. Landtag)